David Bloch, sein Leben, seine Kunst

Interviewt von Volkmar Jaeger Aus LSH 3/1997
(veröffentlicht in der "Lesen statt Hören", Nr. 5, 2002, S. 20-22)

Die Eröffnung der Ausstellung von David Ludwig Bloch in St. Augustin/Bonn ist der Anlass zur Veröffentlichung des Interviews, das ich vor ein paar Jahren mit David Ludwig Bloch führte. Eine Persönlichkeit, die viel Schicksalsschläge eingesteckt hatte - von der frühen Ertaubung her angefangen - und doch nie sein Leben aufgab. Der Lebensmut, der ihn zu einem Künstler formte, und ihm zugleich Schwierigkeiten zu überwinden half. Es musste ein furchtbarer Augenblick des 10. Novembers 1938 gewesen sein, als er völlig überrascht von den Nazis verhaftet wurde - ohne jeden Grund, außer weil er ein Jude war. Kaum eine Habseligkeit konnte er mitnehmen und landete im Konzentrationslager Dachau. Es war plötzlich niemand da, der ihm helfen könnte. Einige seiner Verwandten schrieben an ihn. Die Post kam zurück - mit dem Vermerk "Unbekannt". Sie bangten und fragten sich: "Wohin haben sie David verschleppt?" Er lebte weiter gleichsam in der Unterwelt. Er überwand sich, indem er die Mitgefangenen und Wärter beobachtete und skizzierte in seinem Innern. Das saß so tief, dass er später etwa zwischen 1975 und 1980 Holocaust-Bilder schaffen konnte, die erschütterten. David L. Bloch gehörte zu den wenigen, die nach insgesamt 4 Wochen aus der sogenannten Schutzhaft wieder entlassen wurde.

Als Gelegenheitsarbeiter schlug er sich in München durch - so u.a. als Malergehilfe, bis ihm sein Bruder telegrafierte und anordnete, dass er ausreisen sollte. Es war das Jahr 1940.

Typisch von David Ludwig Bloch, dass er sich in Venedig noch Zeit nahm und sich umguckte, bevor er das letzte Schiff bestieg, das ihn nach Shanghai in die ungewissene Zukunft brachte. Es soll kommen, was kommen mag, schien seine Devise. Er langweilte sich nie. So ging er auf die Straßen und beobachtete das Milieu, ohne es zu analysieren, aber es in den Bildern festhielt, die nachdenklich stimmten - trotz der Liebenswürdigkeit, die die Gestalten ausstrahlen. Eine stille Anklage und doch keine Anklage, eine stille Sozialkritik und doch keine Sozialkritik. Die Bilder vom Konzentrationslager und die von Shanghai unterscheiden sich voneinander: in denen vom Konzentrationslager spürt man das harte, weil todbringende Dasein und in denen von China spürt man dagegen, dass die Menschen zwar arm, aber frei sind. Der Künstler hatte nicht nur mit den Augen eines Gehörlosen beobachtet, sondern auch mit den Gefühlen eines Menschen empfunden. Ein wertvoller Beitrag zur Geschichte der Menschheit.

Er sah zwar kein Ziel voraus, zweifelte aber nie, dass es einmal kommen muss, das Leben wieder zu leben, wie es die Menschlichkeit verlangt. Das Leben ist eben Kampf und der Kampf ist das Leben. Von dieser Nichtaufgabe des Lebens zeugt die jetzige Ausstellung in St. Augustin.

Und nun zum Interview, das ich vor ein paar Jahren mit David Ludwig Bloch geführt hatte:

An den Kulturtagen in Hamburg sah ich dich überall dabei: Du stelltest deine Lithografien aus. Die Zuschauer waren nicht nur beeindruckt von deiner Kunst, sondern auch von der sachlichen Darstellung des unmenschlichen zukunftslosen Lebens im Konzentrationslager. Man ersah daraus deinen nie verlorenen Optimismus. Es schien, als glaubtest du, jemals aus dem Lager rauszukommen und der Welt die verdeckte Unmenschlichkeit in Bildern offen zu legen. Wo hattest du nur den Lebensmut her, obwohl keine Aussicht aufs Überleben bestand?

David: Es ist schwer zu sagen. Es war ja ein unerwartetes Schicksal, gegen das ich nichts tun konnte. Ich war wehrlos, und doch fühlte ich mich nicht wehrlos, indem ich beobachtete, in Gedanken skizzierte und heimlich zeichnete. Darüber vergaß ich das Schicksal.

Deine Lithografien zeugen von deiner schöpferischen Kraft. Hattest du zuvor eine Akademie besucht?

David: Ja, nach der Gehörlosenschule in München 8 Jahre und dann Karl-Braukmann-Schule in Jena 2 Jahre lang lernte ich als Lehrling Porzellanmalerei in Plankenhammer/Oberpfalz. Nach der bestandenen Gesellenprüfung kam ich für 3 Jahre zur Staatlichen Fachschule für Porzellanindustrie in Selb/Oberfranken. Anschließend arbeitete ich bei einer Firma als Mustermaler.

2 Jahre später, es war 1932, wurde ich infolge der Wirtschaftskrise entlassen. Danach studierte ich vom Winter 1934 bis Winter 1936 an der Staatlichen Akademie für angewandte Kunst in München.

Musstest du nicht das Studium selbst finanzieren?

David: Doch, ich bekam keine staatliche Unterstützung. Deshalb arbeitete ich nebenbei, um vom Verdienst leben zu können. Jedoch wurde ich als Jude während des Wintersemesters 1936 vom Studium ausgeschlossen.

Konntest du danach freiberuflich arbeiten?

David: Nein, das sollte mein Ziel sein, aber mit den Nazis kamen Schwierigkeiten. Im Zuge der Arisierung wurde ich arbeitslos. Ein gehörloser Freund, mit dem ich mich lange Zeit verstand, wurde Nazi. Er wollte mich nicht mehr kennen. Zur Kristallnacht wurde ich verhaftet und in Dachau eingeliefert. Ich fragte mich manchmal, ob einer da war, der von meiner Verschleppung wußte und weiter erzählen würde.

Du hattest also doch noch Hoffnung?

David: Manchmal zweifelte ich, manchmal hoffte ich. Es war der Vermittlung meines Bruders zu verdanken, dass ich von einem amerikanischen Verwandten finanzielle Hilfe bekam. Shanghai war das letzte Tor, das jüdische Flüchtlinge ohne Visum aus Europa aufnahm.

Es war sicher nicht so leicht für einen tauben Menschen, der sich in einer ungewohnten Welt zurechtfinden musste, keine vertraute Sprache, keine vertrauten Menschen und keine einheimische Umwelt?

David: So war es! Eine Lebensumstellung, aber eine Schule für mein Leben: ich lernte auf billigere, lockere und weisere Lebensweise zu arbeiten und zu leben. Mit Ach und Krach schlug ich mich durch das neue Leben - 9 Jahre lang, von 1940 bis 1949. Dabei lernte ich bescheiden leben. Man musste eben nur den Willen und die Kraft haben, das Leben zu meistern.

Hast du in Shanghai neue Freunde gefunden?

David: In Shanghai wohnten auch eingesessene Juden. Sie unterstützten uns Flüchtlinge moralisch, vor allem war es eine Chinesin, in der ich schließlich meinen starken Halt fand. Sie hörte nicht wie ich. Erst bei der zweiten Zufallsbegegnung lernten wir uns richtig kennen. Wir liebten uns und heirateten schließlich.

Dann bliebt ihr wohl in China? Oder?

David: Nein, wir beantragten das Visum nach den USA. Man erzählte von den Kommunisten, die kommen wollten. Wir warteten 3 Jahre lang auf das Visum. Es war noch das vorletzte Schiff, mit dem ich abdampfen konnte. Meine Frau durfte nicht mitkommen. Ihr Ausreisevisum war noch nicht da, kam erst später. Und es war für sie knapp gewesen, um das letzte Schiff zu erwischen.

Waren eure Kinder dabei?

David: Nein, wir hatten noch keine Kinder, doch eine Tochter, aber sie blieb in Deutschland zurück. Durch die Verhaftung und Flucht verloren wir unsere Verbindung. Diesmal in Shanghai sah ich immer noch keine sichere Zukunft voraus und wollte vorsichtig bleiben. Allerdings wünschte sich meine Frau so sehr Kinder. Erst in den USA fanden wir endlich ein Zuhause. Außerdem bekam ich Arbeit - als Lithograf zur Herstellung von Abziehbildern für Keramik. So ging es uns besser, auch wenn es manchmal Probleme gab. Aber das war normal. 2 Söhne kamen hintereinander zur Welt. Jetzt ist der eine Musiker und der andere Frauenarzt.

Wo hast du bloß die Zeit her, nebenbei so viele Lithografien anzufertigen? Oder erst zur Rentner-Zeit?

David: Nein, schon eher! Viele Skizzen gingen mir zwar verloren, aber zum Glück war bei mir die Erinnerung so tief eingeprägt, dass ich alles wieder zeichnen konnte wie im Augenblick des Erlebens. Es war harte Zeit, aber mein Optimismus hielt mich aufrecht, wozu auch später meine Frau mit ihrer Liebe und Geduld beitrug. Desweiteren verleitete mich in Amerika die persönliche Freiheit zur schöpferischen Nebenbeschäftigung.

Es ist wirklich schön trotz Traurigkeit, dass du deine Erlebnisse und Beobachtungen in deinen Kunstwerken für die Nachwelt verewigt hast. Vor 4 Jahren bei den ersten Kulturtagen der Gehörlosen in Hamburg sah ich deine Bilder von einem Konzentrationslager zum ersten Male. Nichts hast du übertrieben, nur sachlich und doch menschunwürdig. Ich traf dich bei der Demonstration gegen die Reduzierung des Gebärdensprachdolmetschens und der Untertitel im Fernsehen. Ich fragte dich und war dankbar für dein Jawort zum Interview. Jedoch kamen wir nicht dazu. So viel los war an den Kulturtagen. Jetzt bist du wieder in Deutschland und wir können das Interview nachholen. Stelltest du deine Kunst erstmals in Hamburg aus?

David: Für die taube Welt ja, aber schon vorher hatten sich einige Hörende für mein Werk interessiert. Insbesondere meine wieder gefundene Tochter wünschte die Veröffentlichung und setzte sie auch durch - zu meiner Freude. Alles, was ich durchgemacht und doch geschafft hatte, war nicht umsonst. Nun kann ich die Frucht meines Lebensmutes erleben. Dann kamen meine Bilder auf Initiative von Gitta Fehringer auch zur Ausstellung der tauben Künstler unter dem Zeichen "Eine Kultur bringt sich zur Sprache". Es war eine tolle Sache, die taube Menschen von Ost und West gemeinsam zustande gebracht hatten. Es war für mich eine schöne Erinnerung.

Schön, dass du das sagst. Ich freue mich sehr. Und wirkst du weiter an deiner Kunst?

David: Leider nicht mehr ganz, dafür reise ich viel kreuz: und quer durch die Welt. Ich werde niemals mit meinem Vorhaben fertig, auch wenn ich im Grunde genommen wunschlos bin. Aber ich habe Freunde, wir wollen uns ab und zu wiedersehen und miteinander Gedanken austauschen. So habe ich keine Langweile. Ich glaube, man kann sich kaum Vorstellung machen, wie viel Freude und Leid ich erlebt habe. Und ich freue mich, weiterhin leben zu dürfen.

Erstaunlich in deinem Alter von 86 Jahren (1996)! Ich glaube, das verdankst du deiner Lebensbejahung. Es ist wirklich wert, dich näher kennengelernt zu haben. Wir sehen uns wohl in Dresden wieder.

David: Wieso in Dresden? Ach ja richtig, die nächsten Kulturtage. Ich komme gern.

Das wäre wunderbar, wenn wir uns dort wiedersehen. Herzlichen Dank für die interessante Stunde, die du mir gewährt hast. Bloß gut, dass du noch Deutsch kannst, obwohl du jahrzehntelang in den USA gelebt hast und noch lebst. Außerdem hat uns die Gebärdensprache weiter geholfen - trotz des Unterschieds: du amerikanisch und ich deutsch, aber jede ist verständlich. Wirklich kein Problem! Auf Wiedersehen in Dresden!